Radiobeitrag vom Dezember 2012
Warum gehen Blinde ins Fußballstadion?
Ja, warum denn nicht? Das Stadion ist mehr als der „Platz in der ersten Reihe“. Also der vorm Fernseher. Vor Ort hingegen geht es um Singen, Fiebern, Jubeln, Schimpfen, Schreien. Emotionen mit anderen teilen, Atmosphäre mitgestalten, Fan sein. Und gerade die Behinderten gehören oft zu den treusten Fans überhaupt. Und auch zu den Anti-Aggressivsten. Aber das ist ein anderes Thema.
Die Existenz einer Blindenreportage ist nicht jedem geläufig, obwohl es das Angebot spätestens seit der WM 2006 in den meisten großen Stadien gibt. Deshalb ist in der Radiowerkstatt des Erzbistums folgender Kurzbeitrag entstanden, der am 29.01. auf Radio Köln ausgestrahlt wurde. Dank nochmal den Blindenreportern Björn und Wolfgang sowie den Pressestellen von 1. FC Köln und Bayer 04 Leverkusen für die spontane „Dreherlaubnis“. Ebenso natürlich an Christoph von der DSHS und Regina Hillmann vom Fanclub Sehhunde, und besonders an Manni für die Doppelaufnahme. Irgendwann bringe ich das restliche Audiomaterial hier noch unter.
Korrekt müsste eine Blindenreportage „Sehbehinderten-Reportage“ heißen, denn manche Zuhörer besitzen durchaus noch einen Teil ihrer Sehkraft. Aber solche Wortgebilde sind enge Verwandte der „political correctness“, die – nicht nur im Fußballstadion – sprachlich eher diskriminiert als dies verhindert. Wie hieße es wohl in den USA? Report for the visually challenged/impaired? Bleiben wir lieber bei Blindenreportage.
Akustisch vorstellen kann man sie sich so ähnlich wie eine Radio-Live-Übertragung, bsp. auf 90elf. Das Spielgeschehen wird allerdings wesentlich detaillierter geschildert und ist mehr mit Entfernungsangaben gespickt (also nicht „halbrechts“ sondern „25 Meter rechts vorm Tor“). Die Live-Reporter kommentieren allesamt ehrenamtlich, bei Wind und Wetter. Dabei werden sie zuvor nicht mit Background-Infos versorgt; wissen dann teilweise auch nicht, ob es jetzt die fünfte Gelbe in der laufenden Saison war oder wie der Spieler der Gastmannschaft mit der Rückennummer 25 heißt, der noch kurz vor Schluss eingewechselt wird und dessen Name auf dem DIN-A6 Zettel abgeschnitten wurde. Trotzdem hört sich die Reportage professionell an und klingt umso lebendiger, weil die Jungs – Neutralität hin oder her – natürlich Heimreporter sind. Auch wenn sie das nicht hören wollen.
Besonders schön gestaltet sich der direkte Kontakt zum Publikum, welches der Reporter/in noch mit Handschlag begrüßt. Im Schnitt dürfte es in den Stadion ca. 15 feste Plätze für Hörer + gleiche Anzahl für Betreuer geben. Die Blindenreportage wurde 1999 in Leverkusen geboren und die Stereoanlage muss ebenfalls aus dieser Zeit sein: Sie ist fest installiert und so übersteuert, dass einem die Ohren abfallen. Dafür gibt’s ausreichend Sitzplätze, wie so vieles dort geschuldet einem extrem professionellem Management mit fest angestelltem Behindertenbeauftragten. Gruß an Paffi.
In der linksrheinischen Konkurrenz-Arena (mit der eingängigeren Stadionhymne, (böse:) -stimmung) konnte ich mir dafür ein mobiles Empfangsgerät ausleihen, was auch 4 Blöcke entfernt noch weitestgehend funktioniert hat. Allerdings ist es bekanntlich immer so eine Sache, wenn sich viele Empfänger in eine Funkzelle quetschen. Wer schon einmal in Dortmund mit 80.000 anderen Handys um die wichtige SMS nach Hause konkurriert hat („Schatz, ich hab die Kleine an der Raststätte vergessen und kann hier nicht weg!“), kennt sich von da an zukünftig technisch besser aus.
Mir haben die Besuche in diesen Stadionbereichen unheimlich Spaß gemacht, vor allem, weil die blinden Fans auch so locker waren. Keine Barrieren durch gezwungene sprachliche Correctness. („Ey Chef, Cheeef, Hilfe, mein Kopfhörer, ich hör nichts mehr!“ – „Klar, ich sag ja gerade nichts.“ Jaja, das Rauchverbot).
Neben dem ganzen Kommerz, der ganzen Kohle usw. gibt es auch die andere, leider medial unterrepräsentierte Seite am Fußball: die Grundidee eines Vereins und darin beheimatet ein hohes soziales Engagement. Sollte man drüber berichten. Gerne im Radio. Ist ja auch für alle da.